Jiuquan ist mit ca.
900.000 Einwohnern eine der zahlreichen „Dörfer“ Chinas, zumindest werden die
Dimensionen von den Chinesen etwas anders verstanden. Mir kommt es dahingegen
alles andere als wie ein Dorf vor.
Im Groben lässt sie sich
in die „Neustadt“ , in die „Altstadt“ und alles drum herum einteilen.
Die Altstadt bildet
gleichzeitig mit dem größten Krankenhaus, der besten Senior High-School, dem
alten Stadttor und einige Hotels das Stadtzentrum. Hier lebe auch ich; im
vierten Stock eines Wohnblocks. (Außer mir wohnen in den Wohnungen hier vor
allem Senioren und Lehrer.)
Der rasche Aufbau der „Neustadt“
vermag es aber wahrscheinlich, das Stadtzentrum in den nächsten Jahren
wahrscheinlich zu ändern. Meine jetzige Schule wird zum neuen Schuljahr dorthin
umziehen und das Regierungsgebäude hat auch schon ihren Platz dort gefunden. Es
ist die bessere Gegend Jiuquans.
Wie geschrieben, ich
wohne im vierten Stock in einem etwas tristen Wohnblock. Von meiner Küche aus habe
ich freie Sicht auf meine Schule, sofern die frühjährlichen Sandstürme es
zulassen. Trotzdem führt mich mein Schulweg leider nicht auf direktem Weg zum
Ziel.
Wenn ich aus dem
Treppenhaus heraus gehe, trete ich auf eine große Baustelle. Dort wo
vergangenen Herbst das alte Schulgebäude abgerissen wurde (direkt neben meiner jetzigen
Schule), gehen nun die Bauarbeiten weiter. Das darf man nicht nur tags- und nachtsüber
sehen und hören, sondern auch daran festellen, dass auch schon versehentlich
die Wasserleitungen getroffen wurden.
An der Baustelle vorbei,
zur Hauptstraße sind es zwei Minuten. Gehe ich die in wenigen Minuten runter,
komme ich zum alten Stadttor, wo eine grosse Einkaufspassage aufgebaut wurde:
Kleider, Schmuck, Kosmetik, ein Bäcker, ein großer Lebensmittelmarkt und zwei
Fast-Food-Restaurants (KFC und das chinesischen Pondon). Dort bekommt man alles
was man für das tägliche Leben braucht – auch ohne viel chinesisch zu sprechen.
Doch weitaus spannender und mitunter günstiger wird es, wenn man sich an die
Strassenmaerkte hält. Wie wahrscheinlich in ganz China gibt es in fast jeder größeren
Gasse Stände mit diversen Früchten und Obst, alles in Sachen Fleisch und Fisch,
sowie Gewürze, Nudelteig zum selber kochen und einige fertige Mahlzeiten. Außerdem
bietet Jiuquan in unmittelbarer Nähe zu meinem Apartment einen überdimensionalen,
zwei-stoeckigen „Trödelmarkt“. Hier findet man alles was man brauchen könnte.
Neben den alltäglichen Dingen, wie Schraubenzieher, Taschen, Steckdosenleisten,
Silikon, Pvc-Rohre, Duschköpfe, Kloschüsseln, Kugelschreiber etc. kann man hier
auch Heizdecken, Weihnachtsdeko und ähnliche Saisonangebote finden. Hier ist man
allerdings mit Handeln gut beraten – und vor allem als deutlich erkennbarer Ausländer
ist einem das auch dringend empfohlen.
Über diese Märkte zu
wandern, sich das Angebot anzugucken, sein Mittagessen einzukaufen, die Gerüche
einzufangen und zu handeln macht mir fast am meisten Spaß und ist auch regelmäßiger
Bestandteil meines Alltags.
Den größeren Teil meines Alltags
nimmt aber natürlich das Unterrichten. Ich habe 14 Stunden in der Woche plus
einer sog. „English-Corner“ in der ich mittlerweile den besten Schülern
Grammatik beibringe und mit Fehler anderer Lehrer aufräume. Je nach Wochentag
habe ich zwischen vier und einer Unterrichtsstunde pro Tag. (Die Chinesischen
Kollegen haben zwischen fünf und acht Wochenstunden.) Meine erste Stunde
beginnt in der Regel um 10:25. Mein Tag beginnt aber um 07:00 Uhr im
Fitnessstudio. Von 12:00 Uhr bis 15:00 Uhr gibt es eine Mittagspause, die ich
zusammen mit meinem Essen bei einem englischen Nachrichtensender oder über einem
Buch verbringe. Um 18:00 Uhr ist mein Arbeitstag spätestens geschafft und ich
gehe noch einmal ins Fitnessstudio um meinem körperlichen Ausgleich gerecht zu
werden.
(Der Alltag der Schüler
sieht weitaus strenger aus, als der jedes Lehrers. Wenn ich um 07:00 Uhr
aufstehe, brennt in den Klassenräumen schon das Licht. Und wenn ich um 18:00
Uhr Schluss habe, haben die Schüler meiner Schule noch ca. drei Stunden
Hausaufgaben und lernen vor sich. An den Senior-High-Schools geht der Unterricht
teilweise bis 22:30 plus einigen Unterrichtsstunden am Samstagmorgen und
Sonntagabend.)
Wie ich in einem meiner
ersten Berichte schon mal geschrieben hatte, unterrichte ich die achte und
neunte Klassenstufe. Das Englischlevel ist von Klasse zu Klasse sehr
unterschiedlich. Ich merke, es kommt sehr darauf an, welche/n Lehrer/in die
Klassen haben. Außerdem werden die Schüler innerhalb des Jahrgangs auch nach
Noten in verschiedene Klassen eingestuft. So kommt es natürlich zu extremen
Unterschieden zwischen den Schülern.
Meine Projektarbeit als
Englischlehrer trägt auch deswegen kaum Früchte. Dafür aber umso mehr meine
Anwesenheit als Ausländer. Die Tatsache, dass ich einiges anders handhabe, als
ihre bisherigen Lehrer; andere Themen bearbeite und die bloße Tatsache, dass
ich als Europäer in China lebe hat auf einige großen Einfluss. Und nicht nur in
der Schule sondern auch auf der Straße, wo mich immer wieder vor allem ältere
Herrschaften anstarren und nach mir umdrehen ist eine neue Erfahrung für beide
Seiten.
Seit einigen Wochen bin
ich nun also wieder zurück an meiner Projektstelle und unterrichte. Bevor ich
in das zweite Semester gestartet bin habe ich mir einige Ziele für dieses
Halbjahr gesetzt. Speziell möchte ich strenger und konsequenter den Schülern gegenüberstehen.
Diese Linie zu fahren hat mich bisweilen Kraft gekostet und nun nach genügend
Zeit der Umstellung finde ich mich immer noch jede Woche mit mindestens vier
Handys und einigen Strafarbeiten wieder. Das große Problem ist und bleibt eine
eindeutige Verständigung. Warum bestimmte Dinge gehen und andere wiederum
nicht; welchen Ursprung es hatte, dass ich eine Strafarbeit verteile; oder welche
Aufgabe meine Regeln haben bzw. überhaupt ihr Verständnis ist nach langem Erklären
leider immer noch nicht allen klar. Dennoch macht es den Eindruck, dass es
langsam in eine Richtung geht, die ich anstrebte – und auch mit Spaß am
Unterricht.
Einige Wochen bin ich nun
schon wieder am Unterrichten und einige Woche bleiben mir nur noch. Neun Monate
ist es her, dass ich mich in ein so fremdes und weit entferntes Land aufgemacht
habe und in zweien werde ich es wieder verlassen. Langsam geht es dem Ende zu –
wohl mit einem traurigen aber auch mit einem lächelndem Auge. Ich bin gespannt,
was mich in Deutschland erwartet; wie ich mit all den neuen Eindrücken umgehen
werde, wie sie mich verändert haben und welche mir nachdrücklich in Erinnerung
bleiben.
Hi Leon,
ReplyDeletees sieht so aus, als wäre ich eine deiner Nachfolgerinnen :) Ich komme nämlich ab August an die Jiuquan No 2 Middle School.
Falls Du Zeit und Lust hast, würde ich mich freuen, von Dir zu hören. Gerade weil von meiner deutschen Organisation (Mission EineWelt) noch keiner genau an der Schule war, wäre es super, so ein paar Insider-Tipps zu bekommen oder einfach nur Fragen loszuwerden, wie zum Beispiel, ob die Adresse, die du hier irgendwo angegeben hast, noch aktuell ist.
Ob du noch in China bist oder schon wieder zuhause? Gruß nach woauchimmer :)
Nadya
Hi Leon,
ReplyDeleteich würde gerne deine zweite Weisheit ("Wenn du dachtest, du seist spontan, dann warst du noch nie in China") in einen Blogeintrag von mir einbauen. Hoffentlich geht das in Ordnung :)
Nadya
PS: Mein Blog: chinadya.jimdo.com