Wednesday, May 1, 2013

Mein Alltag und Jiuquan



Jiuquan ist mit ca. 900.000 Einwohnern eine der zahlreichen „Dörfer“ Chinas, zumindest werden die Dimensionen von den Chinesen etwas anders verstanden. Mir kommt es dahingegen alles andere als wie ein Dorf vor.
Im Groben lässt sie sich in die „Neustadt“ , in die „Altstadt“ und alles drum herum einteilen.
Die Altstadt bildet gleichzeitig mit dem größten Krankenhaus, der besten Senior High-School, dem alten Stadttor und einige Hotels das Stadtzentrum. Hier lebe auch ich; im vierten Stock eines Wohnblocks. (Außer mir wohnen in den Wohnungen hier vor allem Senioren und Lehrer.)
Der rasche Aufbau der „Neustadt“ vermag es aber wahrscheinlich, das Stadtzentrum in den nächsten Jahren wahrscheinlich zu ändern. Meine jetzige Schule wird zum neuen Schuljahr dorthin umziehen und das Regierungsgebäude hat auch schon ihren Platz dort gefunden. Es ist die bessere Gegend Jiuquans.
Wie geschrieben, ich wohne im vierten Stock in einem etwas tristen Wohnblock. Von meiner Küche aus habe ich freie Sicht auf meine Schule, sofern die frühjährlichen Sandstürme es zulassen. Trotzdem führt mich mein Schulweg leider nicht auf direktem Weg zum Ziel.
Wenn ich aus dem Treppenhaus heraus gehe, trete ich auf eine große Baustelle. Dort wo vergangenen Herbst das alte Schulgebäude abgerissen wurde (direkt neben meiner jetzigen Schule), gehen nun die Bauarbeiten weiter. Das darf man nicht nur tags- und nachtsüber sehen und hören, sondern auch daran festellen, dass auch schon versehentlich die Wasserleitungen getroffen wurden.
An der Baustelle vorbei, zur Hauptstraße sind es zwei Minuten. Gehe ich die in wenigen Minuten runter, komme ich zum alten Stadttor, wo eine grosse Einkaufspassage aufgebaut wurde: Kleider, Schmuck, Kosmetik, ein Bäcker, ein großer Lebensmittelmarkt und zwei Fast-Food-Restaurants (KFC und das chinesischen Pondon). Dort bekommt man alles was man für das tägliche Leben braucht – auch ohne viel chinesisch zu sprechen. Doch weitaus spannender und mitunter günstiger wird es, wenn man sich an die Strassenmaerkte hält. Wie wahrscheinlich in ganz China gibt es in fast jeder größeren Gasse Stände mit diversen Früchten und Obst, alles in Sachen Fleisch und Fisch, sowie Gewürze, Nudelteig zum selber kochen und einige fertige Mahlzeiten. Außerdem bietet Jiuquan in unmittelbarer Nähe zu meinem Apartment einen überdimensionalen, zwei-stoeckigen „Trödelmarkt“. Hier findet man alles was man brauchen könnte. Neben den alltäglichen Dingen, wie Schraubenzieher, Taschen, Steckdosenleisten, Silikon, Pvc-Rohre, Duschköpfe, Kloschüsseln, Kugelschreiber etc. kann man hier auch Heizdecken, Weihnachtsdeko und ähnliche Saisonangebote finden. Hier ist man allerdings mit Handeln gut beraten – und vor allem als deutlich erkennbarer Ausländer ist einem das auch dringend empfohlen.
Über diese Märkte zu wandern, sich das Angebot anzugucken, sein Mittagessen einzukaufen, die Gerüche einzufangen und zu handeln macht mir fast am meisten Spaß und ist auch regelmäßiger Bestandteil meines Alltags.

Den größeren Teil meines Alltags nimmt aber natürlich das Unterrichten. Ich habe 14 Stunden in der Woche plus einer sog. „English-Corner“ in der ich mittlerweile den besten Schülern Grammatik beibringe und mit Fehler anderer Lehrer aufräume. Je nach Wochentag habe ich zwischen vier und einer Unterrichtsstunde pro Tag. (Die Chinesischen Kollegen haben zwischen fünf und acht Wochenstunden.) Meine erste Stunde beginnt in der Regel um 10:25. Mein Tag beginnt aber um 07:00 Uhr im Fitnessstudio. Von 12:00 Uhr bis 15:00 Uhr gibt es eine Mittagspause, die ich zusammen mit meinem Essen bei einem englischen Nachrichtensender oder über einem Buch verbringe. Um 18:00 Uhr ist mein Arbeitstag spätestens geschafft und ich gehe noch einmal ins Fitnessstudio um meinem körperlichen Ausgleich gerecht zu werden.
(Der Alltag der Schüler sieht weitaus strenger aus, als der jedes Lehrers. Wenn ich um 07:00 Uhr aufstehe, brennt in den Klassenräumen schon das Licht. Und wenn ich um 18:00 Uhr Schluss habe, haben die Schüler meiner Schule noch ca. drei Stunden Hausaufgaben und lernen vor sich. An den Senior-High-Schools geht der Unterricht teilweise bis 22:30 plus einigen Unterrichtsstunden am Samstagmorgen und Sonntagabend.)
Wie ich in einem meiner ersten Berichte schon mal geschrieben hatte, unterrichte ich die achte und neunte Klassenstufe. Das Englischlevel ist von Klasse zu Klasse sehr unterschiedlich. Ich merke, es kommt sehr darauf an, welche/n Lehrer/in die Klassen haben. Außerdem werden die Schüler innerhalb des Jahrgangs auch nach Noten in verschiedene Klassen eingestuft. So kommt es natürlich zu extremen Unterschieden zwischen den Schülern.
Meine Projektarbeit als Englischlehrer trägt auch deswegen kaum Früchte. Dafür aber umso mehr meine Anwesenheit als Ausländer. Die Tatsache, dass ich einiges anders handhabe, als ihre bisherigen Lehrer; andere Themen bearbeite und die bloße Tatsache, dass ich als Europäer in China lebe hat auf einige großen Einfluss. Und nicht nur in der Schule sondern auch auf der Straße, wo mich immer wieder vor allem ältere Herrschaften anstarren und nach mir umdrehen ist eine neue Erfahrung für beide Seiten.

Seit einigen Wochen bin ich nun also wieder zurück an meiner Projektstelle und unterrichte. Bevor ich in das zweite Semester gestartet bin habe ich mir einige Ziele für dieses Halbjahr gesetzt. Speziell möchte ich strenger und konsequenter den Schülern gegenüberstehen. Diese Linie zu fahren hat mich bisweilen Kraft gekostet und nun nach genügend Zeit der Umstellung finde ich mich immer noch jede Woche mit mindestens vier Handys und einigen Strafarbeiten wieder. Das große Problem ist und bleibt eine eindeutige Verständigung. Warum bestimmte Dinge gehen und andere wiederum nicht; welchen Ursprung es hatte, dass ich eine Strafarbeit verteile; oder welche Aufgabe meine Regeln haben bzw. überhaupt ihr Verständnis ist nach langem Erklären leider immer noch nicht allen klar. Dennoch macht es den Eindruck, dass es langsam in eine Richtung geht, die ich anstrebte – und auch mit Spaß am Unterricht.
Einige Wochen bin ich nun schon wieder am Unterrichten und einige Woche bleiben mir nur noch. Neun Monate ist es her, dass ich mich in ein so fremdes und weit entferntes Land aufgemacht habe und in zweien werde ich es wieder verlassen. Langsam geht es dem Ende zu – wohl mit einem traurigen aber auch mit einem lächelndem Auge. Ich bin gespannt, was mich in Deutschland erwartet; wie ich mit all den neuen Eindrücken umgehen werde, wie sie mich verändert haben und welche mir nachdrücklich in Erinnerung bleiben.